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28.04.2020 Tagesimpuls

Sehnsuchtsorte

 

 Meer und Wellen

Foto privat, auf Baltrum

 

Liebe Leserinnen und Leser, liebe Gemeindemitglieder

 

Für den heutigen Impuls habe ich ein Bild ausgewählt, das ich am Strand von Baltrum aufgenommen habe. Es spricht von der Kraft der Wellen, von Sehnsuchtsorten der Erholung. Wie weit wir in diesem Jahr solche Orte (z.B. im Urlaub) finden werden ist ein wenig offen. Andererseits wurden in den vergangenen Impulsen von Mitgliedern der Pastoralteams durchaus solche Orte bei vergangenen Impulsen vorgestellt (Rhein, Siebengebirge, …)

Für mich bedeutet das Bild der sich brechenden Wellen eine Erinnerung an manche Situation am Strand von Baltrum. Ich habe es mir bei Strandspaziergängen (aber nicht nur dort!) zur Gewohnheit gemacht, gelegentlich einmal die Augen zu schließen und dann bewusst auf das Hören zu konzentrieren. Mit geschlossenen Augen hört es sich anders als mit geöffneten Augen: da überwiegen oft die Augenreize das, was das Gehör wahrnimmt – probieren Sie es einmal aus!

Wenn ich mit geschlossenen Augen am Strand stehe, dann höre ich das Brechen der heranrollenden Wellen ganz anders. Ich nehme wahr, dass keine Welle wie die andere kommt und sich bricht: mal tut sie es vor mir, mal kommt das Geräusch von einer Seite auf mich zu und rollt an mir vorbei, mal brechen sie sich links und rechts von mir zuerst und dann erst unmittelbar vor mir. Manchmal stelle ich mir vor, ich wäre wie ein Konzertmeister, der die Wellen dirigiert und einem Konzert der Wellen lauscht. Auch ist es ein Unterschied, ob die wellen an einem flachen Strandabschnitt auslaufen oder an einem etwas steilerem Strandabschnitt, ob sie bei auflaufender Flut jedes Mal ein wenig weiter rollen und vielleicht in einem Muschelfeld auslaufen: Dann werden die Muscheln sanft angehoben und stoßen aneinander mit einem leisen Klingeln wie wenn kleine Glöckchen geläutet werden, oder eine Luftblase entweicht mit einem feinen „Blob“. Bei einer Wattwanderung am Abend, wenn der Wind sich gelegt hat, kann man sogar das Watt „schmatzen“ hören, wenn viele Millionen kleine Wattschnecken die Algen vom Wattboden abnagen. Am Besten hört man es, wenn man die Hände so hinter die Ohren legt, dass die Ohrmuscheln vergrößert werden.

Vor vielen, vielen Jahren erlebte ich einmal, dass mich Leute ansprachen und fragten, was ich täte: sie hätten mich beobachtet und gesehen, dass ich oft ganz lange Zeit still dastehe. Ich erzählte ihnen dann vom Konzert der Wellen und das Hören mit geschlossenen Augen. Darauf sagten sie, dass sie solches noch nie gemacht hätten. Tage später, als ich schon wieder zu Hause war, erhielt ich eine Ansichtskarte von der Insel Baltrum. Darauf stand nur: „Wir haben es ausprobiert. Danke.“ Vielleicht probieren Sie es ja auch einmal aus: im Garten oder Park oder sogar mitten in der Stadt, wenn Sie dem Gesang der Vögel lauschen, das Plätschern eines Baches wahrnehmen, oder …

Vielleicht kennen Sie die folgende Geschichte; ich möchte sie trotzdem hier einfügen:

Eines Tages verließ ein Indianer die Reservation und besuchte einen weißen Mann, mit dem er befreundet war.

In einer Stadt zu sein, mit all dem Lärm, den Autos und den vielen Menschen um sich herum, das alles war ganz neuartig und auch ein wenig verwirrend für den Indianer.

Die beiden Männer gingen die Straße entlang, als plötzlich der Indianer seinem Freund auf die Schulter tippte und ruhig sagte: "Bleib einmal stehen. Hörst du auch, was ich höre?".

Der weiße Freund des roten Mannes horchte, lächelte und sagte dann: "Alles, was ich höre, ist das Hupen der Autos und das Rattern der Omnibusse. Und dann freilich auch die Stimmen und die Schritte der vielen Menschen. Was hörst du denn?"
"Ich höre ganz in der Nähe eine Grille zirpen", antwortete der Indianer.

Wieder horchte der weiße Mann. Er schüttelte den Kopf.
"Du musst dich täuschen", meinte er dann, "hier gibt es keine Grillen. Und selbst wenn es hier irgendwo eine Grille gäbe, würde man doch ihr Zirpen bei dem Lärm, den die Autos machen, nicht hören."

Der Indianer ging ein paar Schritte. Vor einer Hauswand blieb er stehen. Wilder Wein rankte an der Mauer. Er schob die Blätter auseinander, und da, sehr zum Erstaunen des weißen Mannes, saß tatsächlich eine Grille, die laut zirpte.

Nun, da der weiße Mann die Grille sehen konnte, fiel auch ihm das Geräusch auf, das sie von sich gab.

Als sie weitergegangen waren, sagte der Weiße nach einer Weile zu seinem Freund, dem Indianer: "Natürlich hast du die Grille hören können. Dein Gehör ist eben besser geschult als meines. Indianer können besser hören als Weiße."

Der Indianer lächelte, schüttelte den Kopf und erwiderte: "Da täuschst du dich, mein Freund. Das Gehör eines Indianers ist nicht besser und nicht schlechter als das eines weißen Mannes. Pass auf, ich will es dir beweisen!"

Er griff in die Tasche, holte ein 50-Cent-Stück hervor und warf es auf das Pflaster. Es klimperte auf dem Asphalt und die Leute, die mehrere Meter von dem weißen und dem roten Mann entfernt gingen, wurden auf das Geräusch aufmerksam und sahen sich um. Endlich hob einer das Geldstück auf, steckte es ein und ging seines Weges.

"Siehst du", sagte der Indianer zu seinem Freund, "das Geräusch, das das 50-Cent-Stück gemacht hat, war nicht lauter als das der Grille, und doch hörten es viele der weißen Männer und drehten sich danach um, während das Geräusch der Grille niemand hörte außer mir. Der Grund dafür liegt nicht darin, dass das Gehör der Indianer besser ist. Der Grund liegt darin, dass wir alle stets das gut hören, worauf wir zu achten gewohnt sind.

Am 11. Juli 2004 gab es bei Radio Vatikan Newsletter die folgende Meldung:

Ein Lob der Stille kommt heute von Papst Johannes Paul II. An seinem Urlaubsort Les Combes im Aostatal betete er heute den Angelus. Dabei meinte er: "Stille wird heute ein immer selteneres Gut. Die vielen Kontakt- und Info-Möglichkeiten, die die moderne Gesellschaft bietet, nehmen uns die Zeit zur Sammlung weg. Die Menschen können deswegen nicht mehr nachdenken und beten. Aber nur in der Stille kann der Mensch tief in seinem Gewissen die Stimme Gottes hören. Darum sind Ferien so wichtig - sie helfen dem Menschen, diese Tiefen-Dimension seiner Existenz wiederzuentdecken und zu pflegen." (rv) (11.7.2004)

Ich wünsche Ihnen, diese Stille zu entdecken. Nehmen Sie sich doch heute einmal bewusst Zeit dafür, oder tun Sie es an einem der kommenden Tage.

Ihr
Georg Theisen, Pfarrer i.R.

 

Weitere Informationen finden Sie unter www.kath-kirchen-bornheim.de, www.baruv.de  und www.pfarreiengemeinschaft-alfter.de